POLITISCHE FEDER | Pflegende Angehörige nicht als Scheinangestellte benutzen

19.07.2023 Hannes Germann

Wir haben in der Schweiz einen zunehmenden Bedarf an Betreuung und Pflege, der nicht alleine durch das Gesundheitswesen gedeckt werden kann. Wenn die Eltern krank sind respektive werden oder das Kind körperlich behindert ist, übernehmen in vielen Fällen die Angehörigen selbst die Pflege und Betreuung. Sie reduzieren ihr Pensum im Job oder steigen komplett aus dem Beruf aus, um für ihre Eltern oder ihre Kinder da zu sein.

In dieser Situation stellen nun immer häufiger private Organisationen pflegende Angehörige an. Auch bei der Spitex sind solche Anstellungen möglich. Den grössten Teil der so erbrachten Pflegeleistungen verrechnen die Firmen den Krankenkassen und den Gemeinden weiter; den Angehörigen selbst zahlen sie eine vergleichsweise geringe Entschädigung aus. Das muss hinterfragt werden. Es darf nicht sein, dass Angehörige, die ihre Eltern oder Kinder pflegen, als Scheinangestellte benutzt werden.

«Mit passender Unterstützung soll den Angehörigen ein nachhaltiges Engagement ermöglicht und Überforderung vermieden werden.»

Schon heute leisten die Angehörigen sehr viel und sind stark belastet. Vor diesem Hintergrund wurden auch das entsprechende Bundesgesetz und der Aktionsplan zur Unterstützung von pflegenden Angehörigen verabschiedet.

Mittels passender Unterstützungs- und Entlastungsangebote soll den Angehörigen ein nachhaltiges Engagement ermöglicht und Überforderung innerhalb der Familien möglichst vermieden werden. Das Geschäftsmodell, Angehörige zu günstigen Konditionen anzustellen, läuft diesen Bemühungen zuwider. Auch ist fraglich, ob ein Anreiz bestehen bleibt, die angestammte Erwerbstätigkeit trotzdem weiterzuführen.

Mit der Anstellung von pflegenden Angehörigen ist eine Entwicklung im Gange, die wir im Auge behalten müssen. Der Bundesrat sieht keinen Handlungsbedarf, will aber immerhin verschiedene Fragen in einem Bericht vertiefen.

Der Pflegenotstand ist akut, doch die Entlastung des Gesundheitssystems darf nicht auf Kosten der pflegenden Angehörigen geschehen. Es gilt nun die Pfle­geinitiative zügig umzusetzen. Zudem sind Versorgungsmodelle zu fördern, um den künftigen Pflegebedarf decken zu können.


Hannes Germann ist Schaffhauser SVP-Ständerat und Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbands.


Foto: Privat