NACHHALTIG | Eine imposante Sanierung im Zeichen der Energiewende
Die Überbauung Les Minoteries in Genf, die vor rund 50 Jahren erstellt wurde, ist einer der grössten stadteigenen Genfer Wohnkomplexe. Nach vierjähriger Renovationszeit präsentiert sie sich seit 2020 in neuem Gewand: Eine architektonische Glanzleistung, die sowohl im Hinblick auf die Energiewende als auch auf die soziale Rehabilitation wegweisend ist.
Abreissen und neu bauen… oder doch besser renovieren? Das war die Frage, die sich mit Blick auf die in die Jahre gekommene Überbauung Les Minoteries und die sinkende Lebensqualität im Quartier stellte. Denn die zur Entschärfung der herrschenden Wohnungsnot in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre hochgezogenen Wohnblöcke haben seit ihrem Bau keine grössere Renovation erfahren. Sie wurden mittlerweile zu einem der grössten Energieverbraucher des städtischen Immobilienbestands.
Die Wohnanlage, die zwei massige achtstöckige Blöcke mit sieben Treppenaufgängen umfasst, beherbergt rund 600 Mietende in insgesamt 329 Wohnungen. Mit ihren 6000 Quadratmeter Fläche ist sie eine der grössten Anlagen des städtischen Immobilienbestands, der zu 90 Prozent aus Sozialwohnungen besteht und das Zusammenleben verschiedener Generationen sowie den sozialen Zusammenhalt fördern soll.
Neben den Wohnungen bietet der Standort auch eine Kita, einen Kindergarten, eine Bibliothek, mehrere Ateliers, ein medizinisches Zentrum, ein Wohnheim für Menschen mit Mehrfachbehinderung, einen Seniorenklub, verschiedene technische Lokale, eine Reihe von Gemeinschaftsräumen sowie eine kleine Parkanlage.
Also die Frage: Neubau oder Renovation? Die Wahl fiel schliesslich auf die zweite Option. Sie war zwar komplexer, dafür aber kostengünstiger. Das Renovationsprojekt verfolgte ein doppeltes Ziel: einerseits die Energieeffizienz des Gebäudekomplexes zu optimieren und andererseits durch eine Anpassung an die geltenden Normen bezüglich Komfort, Sicherheit und Barrierefreiheit für mehr Lebensqualität zu sorgen.
Für mehr Lebensqualität
So fiel im Jahr 2016 der Startschuss für ein fast 93 Millionen Franken teures Projekt, an dem gleich mehrere städtische Dienststellen – Immobilienverwaltung, Sozialdienst, Bau und Energiedirektion – beteiligt waren. «Zwei in die Jahre gekommene, energiefressende Wohnblöcke aus den Siebzigerjahren zu renovieren, war an sich schon eine Herausforderung. Sie mitten in der Stadt auch noch energieautonom zu machen, war ein kolossales Unterfangen.» Mit diesen Worten beginnt das Buch, das die Stadt Genf herausgegeben hat, um die Geschichte dieser imposanten, fast vierjährigen Renovation zu dokumentieren.
Eine der aufwendigsten Arbeiten war die umfangreiche Umgestaltung der Fassaden und Dächer, um die Isolation er Gebäude zu verbessern und die technischen Anlagen an die modernen Energiestandards anzupassen. Dabei wurde als echte Innovation ein System zur Wärmerückgewinnung aus dem Abwasser der Duschen, Sanitäranlagen und Küchen der Mietenden installiert, mit dem das Heizungs- und Warmwassernetz bedient wird.
Heute versorgen die auf dem Dach gelegene, fast 800 Quadratmeter grosse Hybrid-Solaranlage zur Strom- und Warmwassergewinnung und die über 1000 Quadratmeter grossen Photovoltaikmodule die Kita und die technischen Anlagen mit Strom und Wärme.
Eine umfassende Energieautonomie
Durch die vorgenommenen Veränderungen können heute die 500 000 Liter Heizöl, die der Gebäudekomplex Les Minoteries bis dahin jährlich verbrauchte, eingespart werden. Die Gebäude sind komplett autonom und produzieren ihre eigene Energie – ohne jegliche Emission von Treibhausgasen. Somit erfüllt der Standort die Anforderungen der Strategie «100 Prozent erneuerbar» der Stadt Genf, die sich zum Ziel gesetzt hat, ihren gesamten Immobilienbestand bis 2050 mit erneuerbaren Energien zu beheizen.
«Die Realisierung eines so ambitionierten Energieprojekts in einem so grossen Wohnkomplex ist eine Premiere», sagt Sébastien Schmid, stellvertretender Leiter der Direktion für städtische Immobilien, und verweist auf einen anderen bemerkenswerten Aspekt des Projekts, den es neben dieser energetischen Meisterleistung nicht zu vergessen gilt: das beeindruckende Konzept zur Begleitung der Mietenden während der Bauarbeiten.
Der Umstand, dass die rund 600 Mietenden während der monatelangen Bauzeit präsent waren, trug zweifellos zur Komplexität des Projekts bei. Zur Lösung dieses Problems inspirierten sich die Projektleiter an den Methoden für «bewohnte» Baustellen der französischen Architekten Lacaton und Vassal, die sich auf die Sanierung grosser Wohnkomplexe spezialisiert haben.
Sie organisierten eine Art Wohnungsturnus, bei dem die Mietenden der Reihe nach in eine von dreissig Übergangswohnungen umzogen, um die Durchführung der notwendigen Arbeiten innerhalb ihrer eigenen Wohnungen zu erlauben, so etwa die Umgestaltung der Badezimmer für eine bessere Zugänglichkeit für Personen mit eingeschränkter Mobilität oder die Umwandlung der Balkone zu Loggien. Da, wo die Norm SIA 500 «Hindernisfreie Bauten» nicht punktgenau umgesetzt werden konnte, wurden Kompromisse mit den zuständigen Behörden gefunden. «Die Lösungen erreichen nicht überall den optimalen Standard, sind aber durchaus praktikabel», sagt Sébastien Schmid.
Zahlreiche Akteure
Die Organisation der Wohnungsumzüge auf Zeit gestaltete sich umso schwieriger, als viele der Mietenden in fortgeschrittenem Alter teilweise auf Unterstützung angewiesen sind. Aus diesem Grund wurden zwei Mediatoren beigezogen, die Fragen der Mietenden beantworteten, sie informierten und berieten. So konnten Ängste abgebaut, komplizierte Situationen entwirrt und Terminprobleme gelöst werden.
Weitere Personen und Instanzen, die wesentlich zum Erfolg des Sanierungsprojektes beitrugen, waren der Immobilienverwalter, die vier Pflegefachfrauen des medizinischen Zentrums, die drei Hauswarte, die Bewohnervereinigung von Les Minoteries sowie vier Zivilschützer und ein Verein zur Unterstützung unterstützungsbedürftiger Menschen, die den Mietenden beim Umzug ihrer Wohnungen halfen.
Vibrierende Presslufthämmer, lärmende Bohrmaschinen, allgegenwärtiger Staub, ein ständiges Stimmengewirr und ein Hin und Her von Arbeitern auf den Gerüsten vor den Fenstern: An Gründen für Unmut, Ärger und Ungeduld fehlte es den Mietenden nicht. Heute freuen sie sich jedoch über die positiven Aspekte der Renovation: eine bessere Schalldämmung, eine wiedergefundene Solidarität, weniger Vandalismus und Pöbeleien, sicherere Aussenwege sowie, insbesondere für Rollstuhlfahrer, ein leichterer Zugang zu Bädern und Küchen. Und natürlich niedrigere Heizkosten.
Der langfristige Erfolg der Energiewende in Les Minoteries wird jedoch auch wesentlich von den Mietenden, von ihrem Verhalten und ihren individuellen Konsumgewohnheiten abhängen. Die entsprechenden Herausforderungen wurden ihnen an themenspezifsichen Informations- und Sensibilisierungsveranstaltungen vorgestellt.
Die gelungene Renovation von Les Minoteries hat die Stadt Genf darin bestärkt, die Sanierung ihres Immobilienbestands mit insgesamt 800 Gebäuden fortzusetzen.
Fotos: Ville de Genève | Didier Jordan