BERUFSBILDER | Berufe rücken zusammen

21.03.2025 Salomé Zimmermann

Die Leiterin des Jugenddorfs in Knutwil, Kathrin Burkhardt, erläutert die Situation der Stellenbesetzung und der Berufe in ihrer Institution. Mariette Zurbriggen von ARTISET gibt einen Überblick zur Berufsentwicklung und zu den wichtigen Kompetenzen und Anliegen von Fachpersonen im Kinder- und Jugendbereich.

Im Jugenddorf, einer Institution im luzernischen Knutwil, arbeiten über hundert Mitarbeitende, die knapp fünfzig Kinder und Jugendliche im Alter von 14 bis 25 Jahren betreuen – vor allem Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen. «Wir haben gewisse Vorgaben vom Bundesamt für Justiz und vom Kanton, was die Betreuungsschlüssel sowie die Ausbildungen und den Professionalisierungsgrad der Mitarbeitenden betrifft, sonst werden Subventionen gestrichen», erläutert die Geschäftsleiterin Kathrin Burkhardt. Im Jugenddorf können die Jugendlichen auch eine Ausbildung machen, deshalb gibt es auch handwerklich und agogisch ausgebildete Mitarbeitende. Zudem sind Therapeutinnen und Pflegefachpersonen im Jugenddorf tätig.

Hauseigene Ausbildung

Die Stellen in den verschiedenen Berufsrichtungen zu besetzen verläuft unterschiedlich. «Bei der Rekrutierung gibt es Wellenbewegungen, je nach Zeitpunkt der Stellenausschreibung etwa – momentan läuft es harziger als auch schon», sagt Kathrin Burkhardt. Ein Gegenmittel des Jugenddorfs ist die hauseigene Ausbildung. «Wir sorgen gut für unsere Praktikantinnen und Praktikanten, die in einen Springer-Pool kommen und die wir bei freien Ausbildungsplätzen und später bei Stellen zuerst anfragen», so Burkhardt. In den handwerklichen Berufen arbeiten langjährige Mitarbeitende, bei der Gewinnung von jungen Personen stellt Kathrin Burkhardt fest, dass die Auswahl weniger gross ist als früher. «Bei den wenigen Pflegefachpersonen, die wir ausschliesslich im therapeutischen Angebot beschäftigen, fällt uns die Rekrutierung leichter. Unsere Stellen sind attraktiv, da sie interdisziplinär, mit Verantwortung und mit Kontakt zu jungen Menschen verbunden sind», erklärt die Geschäftsleiterin. Was sind ihrer Erfahrung nach die wichtigsten Gründe für den überall beklagten Fachkräftemangel? «Wir machen jeweils ein Austrittsgespräch mit den Mitarbeitenden, die uns verlassen», sagt Kathrin Burkhardt. Deshalb weiss sie, dass der Wunsch nach geregelten Arbeitszeiten ohne Nacht- oder Wochenenddienst häufig ausschlaggebend ist. Andere wollen Führungsaufgaben übernehmen oder in die Beratung gehen.

«Wir haben Vorgaben vom Bundesamt für Justiz und vom Kanton, was die Betreuungsschlüssel sowie die Ausbildungen und den Professionalisierungsgrad der Mitarbeitenden betrifft.» Kathrin Burkhardt, Geschäftsleiterin Jugenddorf

Weil sie die Gründe kennt, setzt Burkhardt dort an. «Für uns sind die Mitarbeitenden das A und O, und es mir wichtig, dass sie sich weiterentwickeln können – deshalb beteiligen wir uns finanziell an Weiterbildungen», so die Geschäftsleiterin. Gut findet sie auch, wenn Mitarbeitende Arbeitserfahrungen in anderen Institutionen sammeln und dann nach einiger Zeit zurückkehren. Im Jugenddorf gibt es eine Jahresplanung, damit sich die Mitarbeitenden organisieren können, und es wird darauf geachtet, dass viele Wochenenden frei bleiben. Auch externe Beratung bei gewissen komplexen Fällen werde zur Entlastung in Anspruch genommen. Ein weiteres wichtiges Stichwort ist die Partizipation. Das Mitwirken zeigt sich im Jugenddorf etwa anhand von Fachgruppen, die Anstösse für Veränderungen geben – etwa die Gruppe Innovation, die Gruppe Digitalisierung oder die Gruppe betriebliches Gesundheitsmanagement. Ausserdem legt das Jugenddorf den Fokus auf klare Konzepte und klare Haltungen, etwa im Umgang mit Gewalt. Das Engagement für die Mitarbeitenden und eine entsprechende Kultur scheinen sich auszuzahlen. «Auch von den Studierenden, die Einblick in verschiedene Institutionen haben, erfahre ich, dass wir gut aufgestellt sind», bemerkt Kathrin Burkhardt. Generell bewährt es sich ihrer Erfahrung nach, wenn auf Stellen Personen mit gleichwertiger, aber unterschiedlicher Ausbildung gewählt werden, da so mehr Fachwissen zusammenkommt.

Interdisziplinarität und Kommunikation 

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Berufsrichtungen. Im Kontext von Berufen im Sozial- und Gesundheitsbereich sind Interdisziplinarität und Kommunikation besonders bedeutsam. «Wir sind systemisch und interdisziplinär ausgerichtet und sorgen dafür, dass die verschiedenen Betreuungspersonen regelmässig miteinander reden», erklärt Burkhardt. Die Therapeutinnen und Therapeuten kommen ins Jugenddorf, damit die Wege des Austauschs kurz sind. Das Jugenddorf hat mit der Luzerner Psychiatrie einen Kooperationsvertrag, die zwei Psychologinnen stellt. Denn der psychologische Bedarf wird laut Kathrin Burkhardt bei den Jugendlichen immer grösser. Auch im Bereich der Forensik sei eine Zunahme bemerkbar, da immer mehr junge Menschen wegen Delikten von der Jugendanwaltschaft zugewiesen werden. Die Kommunikation hat dabei in allen Feldern einen sehr gros­sen Stellenwert. Den Eltern wird zudem ein grösseres Mitspracherecht zugestanden, denn sie kennen sich ja am besten mit ihren Kindern aus. Früher haben die Fachleute laut Burkhardt teilweise gemeint, dass sie am besten wüssten, wie mit den Kindern und Jugendlichen umgegangen werden sollte. Da bewirkte die systemische Interaktionstherapie ein grosses Umdenken, indem nun verstärkt auf die Ressourcen der Eltern zurückgegriffen wird. Als weitere bedeutende Entwicklung der letzten Jahre sieht Kathrin Burkhardt die Zunahme der Erlebnispädagogik: «Oft erreicht man mehr, wenn man mit den Jugendlichen rausgeht und sie sich bewegen können.» Auch die Arbeitsagogik sei ein wichtiger Trend, denn die Jugendlichen können bei der Ausbildung und Arbeit eine Haltung entwickeln und Erfolgserlebnisse erfahren, da das Resultat ihrer Bemühungen konkret und sichtbar ist. Der Austausch mit externen und zuweisenden Fachpersonen erfolge professioneller, und als Folge davon seien die Administration und das Berichtwesen wichtiger geworden.

Ein gutes Team ist entscheidend

Mariette Zurbriggen ist Leiterin Berufs- und Personalentwicklung Kinder und Jugendliche bei ARTISET und kennt die Situation sowohl aus praktischer wie aus theoretischer Perspektive. Sie bemerkt, dass die Schwierigkeiten bei der Suche nach geeigneten Fachpersonen im Sozial- und Gesundheitsbereich zu Anspannungen führen, weil entweder Stellen sehr spät erst besetzt oder Fachfremde angestellt werden müssen. «Dies verändert die Arbeit grundlegend und kann auch die Qualität der Angebote beeinflussen», sagt Mariette Zurbriggen. Sie sieht einen Grund in veränderten Vorstellungen davon, wie Arbeits- und Familienleben zu vereinbaren sind. Das zentrale Bedürfnis von Stellensuchenden ist ihrer Erfahrung nach ein gutes Team, aber auch die Sinnhaftigkeit und Balance in der Arbeit seien wichtig. Mariette Zurbriggen erläutert, dass diese Aspekte im Sozialbereich noch wichtiger sind als in anderen Branchen, denn diese Mitarbeitenden arbeiten mit ihrer Sozialkompetenz und mit ihrer Beziehungsfähigkeit: «Soziale Fachleute bringen sich als Persönlichkeiten ein, sie müssen sich in Beziehung zu den begleiteten Menschen setzen.» Und dieser so entscheidende menschliche Anteil braucht Zeit und Raum und kann auf der Strecke bleiben, wenn Personal fehlt und die Zeit knapp ist. Gerade Kinder und Jugendliche spüren genau, wenn ihre Betreuungspersonen unter Druck sind. «Wenn ich mit Fachpersonen spreche, wird auch die Anerkennung der Bedeutung der geleisteten Arbeit als entscheidender Punkt genannt», sagt Mariette Zurbriggen. Darüber hinaus gehe es auch darum, etwas bewirken und mitgestalten zu können, denn besonders der Sozialbereich biete viel Gestaltungsspielraum.

«Die Berufsfelder rücken generell näher zusammen, neues Wissen kommt dazu.» Mariette Zurbriggen, Leiterin Berufs- und Personalentwicklung Kinder und Jugendliche bei ARTISET

Und was hilft ihrer Meinung nach gegen den Fachkräftemangel? «Ich erkenne da ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, mit einem eigenen Mix, da jede Organisation anders funktioniert. Grundsätzlich geht es aber immer um eine Kultur und Führung, die sich um die Mitarbeitenden kümmert, sowie um eine gewisse Flexibilität, um beweglich zu bleiben», so Zurbriggen. Denn der Arbeitsmarkt ist ja eben ein Markt und kennt bestimmte Strömungen und Trends. Häufig funktioniert die klassische Ausschreibung nicht mehr auf Anhieb, wie Zurbriggen feststellt, da gelte es, entweder Geduld zu haben oder das Stellenprofil auszuweiten, wenn es zu wenige Interessierte gibt. Für gewisse Funktionen könnten auch Personen aus ähnlichen Berufsfeldern angestellt werden, dies bedeute allerdings eine entsprechende Einführung und Begleitung. Auf der anderen Seite bemühen sich auch die Höheren Fachschulen und Fachhochschulen, mehr Leute für den Sozial- und Gesundheitsbereich zu gewinnen. Nicht zuletzt Quereinsteiger, denn diese sind beliebt, da sie Erfahrungen aus anderen Bereichen und Lebenserfahrung mitbringen. Als besonders wirkungsvoll sieht Mariette Zurbriggen auch die Ausbildung von Studierenden in den Institutionen selber – denn diese sind eingearbeitet und kennen sich aus. «Im Kinder- und Jugendbereich sind die Vorgaben besonders streng, über zwei Drittel der Mitarbeitenden müssen tertiär ausgebildet sein», weiss Mariette Zurbriggen. Das macht Sinn, denn eine gute Betreuung und Begleitung von jungen Menschen ist besonders wertvoll, nicht zuletzt auch für die Gesellschaft.

Wie es weitergeht

«Ein passender Mix von Mitarbeitenden ist interessant für die Betriebe», sagt Zurbriggen, «und wenn Personen aus verschiedenen Berufsrichtungen zusammenarbeiten, gibt es sowohl Reibungs- wie Ergänzungspotenzial.» Es brauche Offenheit für andere Sichtweisen, dann kann die viel diskutierte Interprofessionalität eine grosse Bereicherung sein. Grundsätzlich würden wegen veränderter Ausgangslagen und Bedürfnissen die reglementierten Berufsausbildungen alle fünf Jahre überprüft und gegebenenfalls angepasst. Komplett neue Berufe sind gemäss Zurbriggen deshalb eher selten, dazu gehören beispielsweise die soziokulturellen und Gemeindeanimatoren. «Die Berufsfelder rücken generell näher zusammen, neues Wissen kommt dazu», so Zurbriggen. Eine wichtige Entwicklung sei auch die Generalisierung in der Grundbildung und dann die Spezialisierung erst auf höherer Stufe – so brauche nicht jedes Feld einen einzelnen Beruf. «Eine breite Ausbildung ist für die Arbeitnehmenden attraktiv, da sich das Feld weitet, für den Arbeitgebenden bedeutet es mehr Aufwand durch mehr Einführung», sagt Mariette Zurbriggen. Einen anderen Trend sieht sie in der Erwachsenenausbildung, etwa verkürzte Ausbildungen durch die Anerkennung von anderen Erfahrungen. Diskutiert werde auch die Flexibilisierung von Ausbildungen – das könnte es beispielsweise einfacher machen für Migrantinnen mit Betreuungsaufgaben, in soziale und pflegerische Berufe einzusteigen. Ein Dauerbrenner ist natürlich auch die Digitalisierung und der Umgang damit, gerade im Kinder- und Jugendbereich. Die sogenannten Querschnittskompetenzen werden ebenfalls immer bedeutsamer. «Das lebenslange Lernen ist für alle Berufe wichtig, aber ganz besonders für diejenigen, die im Gesundheits- und Sozialbereich tätig sind», so Mariette Zurbriggen.

 


Foto: Jojo Schulmeister, Jugenddorf Knutwil.