FACHKRÄFTE | Wertschätzung ist mehr als nur ein Wort

03.05.2023 Monika Bachmann

Organisationen im Gesundheitswesen buhlen um Pflegepersonal. Sie werben mit attraktiven und familienfreundlichen Arbeits­bedingungen. Mitarbeitende wünschen sich aber weit mehr: Wert­schätzung und ein gutes Arbeitsklima ­zählen ebenso sehr, wie ein Besuch im ­Lindenhof im aargauischen Oftringen zeigt.

Kurz nach Sonnenaufgang beendet Yvonne Ruf ihre Nachtschicht im Lindenhof. Sie zieht die Berufskleidung aus, packt ihre Tasche und fährt mit dem Lift ins Erdgeschoss. Im Entree steigt ihr der Duft von frisch gebackenem Brot in die Nase. Die hauseigene Bäckerei hat gewirkt. «Am Sonntagmorgen hole ich mir jeweils einen Zopf, bevor ich mich auf den Heimweg mache», sagt die diplomierte Pflegefachfrau. Sie schätze es, diesen im Haus beziehen zu können. Als Mitarbeiterin hat Yvonne Ruf auf alle Produkte, die sie bei ihrem Arbeitgeber kauft, zwanzig Prozent Rabatt. Das gilt auch für interne Dienstleistungen, beispielsweise medizinische Massagen oder Trainings im Fitnessraum. Und wenn sie zum Frühdienst antritt, darf Yvonne Ruf, wie alle anderen Mitarbeitenden, kostenlos und à discrétion frühstücken. Auch die Parkplätze vor dem Haus stehen den Arbeitnehmenden kostenlos zur Verfügung.


Darum arbeite ich gerne hier - Fachkräfte erzählen

Darum arbeite ich gerne hier (mp3, 16.3 MB)

Dies sind einige Vorteile, die der Lindenhof seinem Personal bietet. Sie zeugen von einer Philosophie, die in der Organisation verankert ist: «Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt», sagt Isabelle Kuhn, stellvertretende Geschäftsführerin und Bereichsleiterin HR. Dieser Slogan ist im Gesundheitswesen oft zu hören. Deshalb folgt eine Präzisierung: «Unsere Mitarbeitenden sind auch unsere Kundinnen und Kunden», hält Isabelle Kuhn fest. Wer in diesem Haus arbeitet, soll rundum zufrieden sein.

Verlässlicher Arbeitgeber

Sie nennen sich «Lindenhöfler», die Mitarbeitenden. Einige von ihnen kleben das Logo ihres Arbeitgebers aufs Auto oder tragen privat eine Jacke, die mit dem grünen Lindenbaum versehen ist. Ein Verhalten, das von Identifikation zeugt. An den Anstellungsbedingungen alleine dürfte dieses Bekenntnis nicht liegen. Beim Gehalt orientiert man sich an den gängigen kantonalen Vorgaben – das gilt auch für das Pflege­personal. Und die Arbeitszeit liegt mit 42 Stunden pro Woche im Durchschnitt.

Das Wohlbefinden der Mitarbeitenden hängt im Wesentlichen von anderen Faktoren ab, zum Beispiel vom Arbeitsklima. Yvonne Ruf, die bereits ihre Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit im Haus absolviert hat, bezeichnet die Atmosphäre als «familiär», man tausche sich aus und höre sich gegenseitig zu; und zwar nicht nur im Team, sondern auch mit anderen Berufsgruppen. «Es ist ein Miteinander», findet sie. Die 29-Jährige hat zudem die Erfahrung gemacht, dass man sich auf den Arbeitgeber verlassen darf. Als Lernende hatte sie gesundheitliche Probleme, musste sich einer Hüftoperation unterziehen und fiel lange aus. Die Ausbildung sei «auf der Kippe» gestanden, erzählt sie. Es gab viele Gespräche, und man fand Lösungen. «Ich habe hier grosse Unterstützung erfahren und konnte die Lehre mit einem Jahr Verspätung abschliessen», erzählt Yvonne Ruf.

Ein Coach für persönliche Anliegen

Begriffe wie Wahrnehmung und Wertschätzung werden im Lindenhof nicht nur grossgeschrieben, sondern auch gelebt. Krankheitsmeldungen landen stets auf dem Tisch von Geschäftsführer Ralph Bürge. Er schenkt ihnen Beachtung. Sobald die betroffene Person zurück am Arbeitsplatz ist, erkundigt er sich persönlich nach deren Befinden. Das gilt auch für Eltern, die wegen erkrankter Kinder abwesend waren. Der Lindenhof bezeichnet sich als «familienfreundlicher Betrieb», der mit einer eigenen Kita sowie einem Hort Akzente setzt. Auf Anliegen und Fragen von Arbeitnehmenden wird eingegangen.

Die Bürotüre der HR-Verantwortlichen ist stets offen: «Wir sind für die Leute da, und sie suchen uns täglich auf», heisst es. Eine weitere Dienstleistung bietet ein interner Coach. Mitarbeitende können ihn sowohl bei beruflichen Fragen oder Konflikten kontaktieren als auch Hilfe für private Anliegen beanspruchen. Laut Geschäftsleitung wird dieses Angebot rege genutzt. Auch im Bereich der Teambildung spielt der Coach eine wichtige Rolle.

«Wir begrüssen es sehr, wenn ­Mitarbeitende sich Gedanken ­machen und Verbesserungs­vorschläge einbringen.»

Dass sich ein Grossteil der Arbeitnehmenden mit dem Betrieb identifiziert, freut den Geschäftsführer. «Die Mitarbeitenden sind unsere Botschafterinnen und Botschafter», sagt er. «Sie tragen unsere Philosophie nach aussen.» Trotzdem geht der Fachkräftemangel auch am Lindenhof nicht vorbei. Geschäftsführer Ralph Bürge relativiert jedoch: «Wir sind zwar permanent auf der Suche nach Pflegefachpersonal, zurzeit sind aber alle Stellen besetzt.» Die Hände in den Schoss legen wäre dennoch die falsche Strategie. Auch im Kompetenzzentrum für das Leben im Alter, wie sich die Organisation bezeichnet, optimiert man sich ständig, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein. «Wir punkten zum Beispiel mit guten Sozialleistungen und übernehmen 60 Prozent der Pensionskassenbeiträge», so Isabelle Kuhn.

Auch mit der Einsatzplanung befasst man sich eingehend. Die Bereichsleiterin Pflege, Andrea Nyffenegger, legt Wert darauf, dass Dienstpläne jeweils einen Monat im Voraus auf dem Tisch liegen. Die Einsatzdauer wird strikt begrenzt: «Das Limit liegt bei fünf aufeinanderfolgenden Tagen», stellt die Verantwortliche klar. Auch individuelle Wünsche und Bedürfnisse gehen bei der Planung, wenn immer möglich, nicht unter. «Wenn eine berufstätige Mutter gerne abends arbeitet, machen wir das möglich», so Andrea Nyffenegger.

Mitreden und weiterkommen

Ob jemand im Lindenhof bleibt oder nicht, hängt womöglich noch von einem weiteren Faktor ab: Mitarbeitende möchten sich nämlich entwickeln können. Die Aus- und Weiterbildung hat im Haus deshalb einen zentralen Stellenwert. Yvonne Ruf konnte sich nach der Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit mit Unterstützung ihres Arbeitgebers zur diplomierten Pflegefachfrau HF und zur Berufsbildnerin ausbilden. «Ich wurde angefragt, ob mich das interessieren würde», erklärt sie. Im Alltag trägt sie nun deutlich mehr Verantwortung und das Spektrum ihrer Aufgaben ist breiter geworden. Wenn sie eine Idee hat oder eine Neuerung einführen möchte, kommt das bei ihren Vorgesetzten an: «Wir begrüssen es sehr, wenn Mitarbeitende sich Gedanken ­machen und Verbesserungsvorschläge einbringen», betont ­Isabelle Kuhn.

Das gilt nicht nur für diplomierte Pflegefachpersonen, sondern für alle. Auch Lernende oder Be­wohnerinnen und Bewohner sind eingeladen, den Betrieb aktiv mitzugestalten. Diese Haltung passt zu den im Lindenhof verankerten Werten: Ehrlichkeit, Vertrauen, Disziplin und Kreativität. Daran hält man fest, auch wenn der Fachkräftemangel die Branche derzeit überdurchschnittlich herausfordert. Anderen Betrieben die Fachkräfte abzuwerben oder für die Vermittlung einer Fachperson gar eine Prämie zu zahlen, kann sich Geschäftsführer Ralph Bürge nicht vorstellen: «Das käme einem Handel gleich», sagt er. Zwischen den Zeilen ist Empörung auszumachen. Zudem seien solche Methoden gegenüber den Steuerzahlenden nicht zu rechtfertigen.

Abgänge gehören dazu

Die Branche bleibt dynamisch. Das gilt auch für den Lindenhof. «Wir befinden uns zurzeit in einem Wachstumsprozess», so Ralph Bürge. Neue Dienstleistungen kommen hinzu, andere Bereiche werden angepasst. Geplante Neuerungen werden nicht über die Köpfe der Mitarbeitenden hinweg verordnet, die Beteiligten sind involviert. «Wir werden in den Wandel mit einbezogen», sagt Yvonne Ruf, was sie bemerkenswert findet. Kürzlich hat die Organisation mit dem Projekt «virtuelles Heim» Schlagzeilen gemacht. Im Rahmen eines Pilotprojekts werden in Privathaushalten flexible Pflegebetten aufgestellt, sodass pflegebedürftige Menschen so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben können. Die Mitarbeitenden des Pflegeteams sind somit nicht nur im Lindenhof tätig, sondern auch zu Hause bei pflegebedürftigen Menschen. Einerseits erweitert sich also das Aufgabengebiet der Pflegenden, andererseits wird von ihnen mehr Flexibilität erwartet.

Solche Veränderungen kommen nicht bei allen gut an: «Manch einer Person geht die Entwicklung zu schnell», ist sich Ralph Bürge bewusst. Mit Abgängen muss man auch im Lindenhof leben können. Die Fluktuation von 15 Prozent im Jahr 2022 bezeichnet der Geschäftsführer als «durchaus normal». Entscheidend sei, dass Mitarbeitende den Betrieb «in gutem Einvernehmen» verlassen würden. Übrigens komme es immer wieder vor, dass Leute nach einer bestimmten Zeit ins Haus zurückkehren wollten. Die Türe beim Haupteingang steht ihnen offen.


Lindenhof Oftringen

Der Lindenhof Oftringen bezeichnet sich als Kompetenzzentrum für das Leben im Alter. Der Betrieb beschäftigt 300 Mitarbeitende. Im Bereich Pflege und Betreuung gibt es 33 Vollzeitstellen. Das Angebot umfasst unter anderem Pflege, Tagesbetreuung sowie Betreutes Wohnen. Zudem betreibt der Lindenhof eine Spitex. Ein hauseigenes Restaurant sowie eine Kita und ein Hort ergänzen das Angebot. Sämtliche Dienstleistungen können von internen und externen Personen genutzt werden.


Foto: Lindenhof