FÜHRUNG | Agilität fördert individuelle Betreuung
Im Kanton Waadt entwickelt die Fondation Saphir einen neuen personenzentrierten Ansatz und orientiert sich dabei an agilen Organisationsprinzipien. Im Alters- und Pflegeheim Montchoisi in Orbe läuft seit mehr als einem Jahr ein Pilotprojekt. Dieses soll zu einem Modell werden, das sich auf die anderen Einrichtungen der Stiftung ausweiten lässt.
Der Fondation Saphir gehören rund zwanzig geriatrische, psychogeriatrische und psychiatrische Einrichtungen an, darunter zwei Alzheimer-Wohngemeinschaften, eine Spitex-Organisation und betreutes Wohnen. Ihre rund 660 Mitarbeitenden betreuen im Bezirk Jura-Nord Vaudois fast tausend Klientinnen und Klienten.
Der lebendige und innovative Geist der Fondation Saphir offenbart sich in neu geschaffenen Strukturen wie den Alzheimer-Wohngemeinschaften. Oder er kommt nach und nach durch Initiativen zur Förderung von Selbstbestimmung und Teilhabe an den verschiedenen Standorten der Stiftung zum Ausdruck.
Der Innovationswille findet sich auch in der Strategie 2018–2023 der Fondation Saphir wieder, die auf drei Schwerpunkten basiert:
- hervorragende Leistungen erbringen,
- ein vorbildlicher Arbeitgeber sein und
- Mut haben zu einer verantwortungsbewussten Unternehmensführung bezüglich Leistungsangebot.
Ein Mittel zum Paradigmenwechsel
Im Zusammenhang mit dem dritten strategischen Schwerpunkt entwickelt die Fondation Saphir ein personenzentriertes Betreuungskonzept, das sich an die Grundsätze der agilen Unternehmensführung anlehnt. «Nicht die Agilität an sich ist unser Ziel», erklärt David Favre, Leiter Entwicklung und Innovation. «Sie ist ein Mittel für den Paradigmenwechsel. Das heisst: nicht mehr für andere denken, und die Organisation den Leistungen anpassen und nicht umgekehrt.» Im Sinne dieser Agilität geht es nun darum, «aus der Technokratie auszusteigen, die administrativen Belange zu reduzieren, die Fachkräfte am Puls der Entscheidungen einzusetzen und die Verantwortlichkeiten in die Praxis zu übertragen».
Das personenzentrierte Betreuungskonzept ausprobieren
Den Worten folgen Taten: Das im März 2021 eröffnete Alterspflegeheim Montchoisi probiert das personenzentrierte Betreuungskonzept aus. Es kann mit dem Schlagwort «wie zu Hause» zusammengefasst werden, welches das Leben im Heim sehr treffend beschreibt: flexible Essenszeiten, rund um die Uhr verfügbare Snacks, ein Coiffeursalon, Wellness, ein Ort, wo alle nach ihrem individuellen Rhythmus leben können. Das Angebot an Abendaktivitäten ist gestiegen und die Medikamentenabgabe gesunken.
Im Montchoisi gibt es keine «Bewohnende», sondern «Wohnende». Diese können sich auf Wunsch an den Hausarbeiten beteiligen und bei der Wahl des Mobiliars, der Beschilderungen oder der Alltagsgestaltung mitreden. Sie sollen generell bei möglichst vielen Entscheidungen einbezogen werden. «Das Fördern der Lebensqualität beginnt mit der Freiheit zu wählen», betont David Favre.
Das Pflegeheim Montchoisi verfügt über 82 Langzeitpflegeplätze auf drei Stockwerken. Das architektonische Projekt wurde vor gut zehn Jahren ausgearbeitet und würde heute für das neue Betreuungsmodell sicher nicht mehr gewählt.
Um sich bestmöglich den Bedürfnissen der im Montchoisi Wohnenden anpassen und eine individuelle Betreuung gewährleisten zu können, wurden pro Stockwerk zwei miteinander verbundene «Wohngemeinschaften» für je vierzehn Personen geschaffen. Das fördert die Zusammenarbeit und ermöglicht den Transfer guter Praxis. «Es sind keine Pflegeeinheiten, denn im Vordergrund soll das Leben stehen», erklärt David Favre.
Autonome Teams, die rasch entscheiden
Die Teams in den Wohngemeinschaften sind interdisziplinär, vielseitig, flexibel und autonom. Sie sind agil und treffen Entscheidungen rasch. An ihren Sitzungen nimmt auch das für das ganze Haus zuständige Personal teil, also auch die Mitarbeitenden aus Küche und Restauration. Bei der Alltagsgestaltung und dem Einrichten der Gemeinschaftsräume beziehen die Teams alle ein, die im Montchoisi wohnen.
Ein Team besteht aus etwa zehn Mitarbeitenden, welche die Dienstpläne, Aufgabenverteilung oder Materialverwaltung ohne administrative Schwerfälligkeit und kleinliche Formalitäten unter sich absprechen. Unterstützt werden sie von internen Coaches und Pflegefachleuten, die eine verbindende Funktion ausüben. Eine Art «fachliche Leitungspersonen» werden künftig die Teams unterstützen – nicht als Vorgesetzte, sondern als Fachexperten.
Nach Angaben des Innovationsleiters David Favre und des Generaldirektors Luis Villa erweist sich das Modell in Bezug auf die Kommunikation, Koordination und Führung als anspruchsvoll. Durch den neuen Ansatz erhält die Arbeit zwar (wieder) einen Sinn, und die Verantwortung kann auf alle Stufen verteilt werden, aber die Suche nach Lösungen erfordert ständige Anpassungen, Diskussionen und Kompromisse.
Auch die Motivation der verschiedenen Personen spielt eine wesentliche Rolle. «Manchmal liegen wir falsch, doch das bringt uns vorwärts, denn an Fehlern wächst man», versichert Favre. Generaldirektor Villa seinerseits ist überzeugt, dass das im Pflegeheim Montchoisi entwickelte Modell Saphir mit seiner personenzentrierten Praxis und den neu organisierten Wohngemeinschaften auch auf andere Einrichtungen ausgeweitet werden kann.
Foto: Michel Duperrex