Natur und Sport geben Jugendlichen neue Hoffnung

12.06.2024 Anne Vallelian

Der Verein AltitudeZero hilft Jugendlichen in Schwierigkeiten, sich wieder aufzubauen: Er bietet ihnen naturnahe Aktivitäten und Aufenthalte sowie Sport an und fördert ihre Selbstüberwindung. Ein Treffen mit Jimmy Weber, Direktor und Gründer des Vereins.

Die im Zentrum von Lausanne gelegenen hellen Räumlichkeiten mit skandinavischer Einrichtung vermitteln Geborgenheit. Die Landschaftsaufnahmen an den Wänden erinnern an die Camps, die von AltitudeZero regelmässig organisiert werden. Seit 2017 unterstützt der Waadtländer Verein junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren, die mit verschiedenen Problemen konfrontiert sind. Gleich zu Beginn stellt Jimmy Weber klar: «Wir sind keine Eingliederungsmassnahme. Wir bieten eine sozialpädagogische Betreuung an und wollen die Jugendlichen damit vor allem unterstützen, sich wieder aufzubauen. » Als gemeinnützige Organisation erhält Altitude- Zero keine Subventionen. «Dieser Status verleiht uns viel Freiheit und ermöglicht massgeschneiderte Begleitungen. So sind individuelle und den verschiedenen Profilen angepasste Begleitungen möglich», erklärt der Direktor und Gründer des Vereins. Die jungen Menschen können AltitudeZero nicht einfach zugewiesen werden. In einem Gespräch ermittelt das pädagogische Team zuerst, ob eine Betreuung infrage kommt. Das regionale Sozialzentrum (CSR), Schulen, Kinderärztinnen und Psychiater, aber auch Privatpersonen können sich für eine ambulante Betreuung, betreutes Wohnen oder ein Auszeit-Camp an den Verein wenden.

Sport als wirkungsvolle Therapie

Im Rahmen der täglichen Betreuung können die Jugendlichen bei AltitudeZero zwischen verschiedenen Workshops auswählen. Dazu gehört auch das pädagogische Boxen, wovon der Punchingball in der Sporthalle zeugt. Jimmy Weber betont: «Es ist uns wichtig, Aktivitäten anzubieten, bei denen sich die Jugendlichen ohne physische Gewalt mit sich selbst auseinandersetzen können. Die durch die Anstrengung ausgeschütteten Endorphine nutzen wir, um den Dialog zu fördern. Denn wir haben festgestellt, dass die Jugendlichen aktiv sein müssen, damit ein Austausch stattfinden und eine Beziehung aufgebaut werden kann.» Für einige ist das Boxen eine Therapieform. Für andere eignet sich eher Mountainbiken oder Kunst. Der Direktor präzisiert: «Die Möglichkeiten sind vielfältig. Uns geht es darum, dass die Jugendlichen sich ablenken können und es schaffen, sich uns anzuvertrauen.»

Bei vielen bewährt sich diese Methode. So auch bei Alexander (Name geändert). Jimmy Weber erzählt: «Nach einer besonders schwierigen Kindheit ist Alexander im Alter von 18 Jahren völlig verloren und orientierungslos zu uns gestossen. Der Kanton schickte ihn zu uns, da er auf der Strasse lebte und ein Familienmitglied im Gefängnis sass. Es musste dringend eine Lösung für diese prekäre Situation gefunden werden.» Alexander fand im Boxen eine heilende Therapie, die es ihm ermöglichte, seine Emotionen zu befreien. In den acht Monaten, in denen Alexander drei- bis viermal pro Woche zu AltitudeZero kam, entstand schnell ein Vertrauensverhältnis, was bei Weitem nicht bei allen Jugendlichen der Fall sei. «Wir haben mit ihm ein Dossier zusammengestellt, damit er eine eigene Wohnung finden konnte. Ausserdem fand er eine Lehrstelle auf einer Gemeinde. Heute geht es Alexander gut und er geht seinen Weg eigenständig», sagt Jimmy Weber.

Eigene Wohnung als zentrales Instrument

Bei anderen dauert der Aufbau einer Vertrauensbasis länger. Jimmy Weber erinnert sich an eine junge Frau, die sich in einer komplexen Situation befand und Zuflucht in Drogen suchte: «Als sie zu AltitudeZero kam, wollten auch die Heime nichts mehr von ihr wissen. Der Anfang war geprägt von Wutausbrüchen und wiederholtem Fernbleiben von Terminen – ein echter Kraftakt.» Die junge Frau hatte in ihrem bisherigen Leben nur Ablehnung erfahren. Ihr einziges Ziel war eine eigene Wohnung. «Als wir erkannten, dass dies für sie von zentraler Bedeutung war, unterstützten wir sie dabei, und sie erschien regelmässig zu den Terminen.Dennoch brauchte es mehrere Monate, bis sie Vertrauen zu uns fasste», so Weber. Gemäss dem Direktor ist eine eigene Wohnung ein wichtiges Instrument, um das Leben zu bewältigen.

Wir haben festgestellt, dass die Jugendlichen aktiv sein müssen, damit ein Austausch stattfinden und eine Beziehung aufgebaut werden kann.» Jimmy Weber, Direktor und Gründer des Vereins AltitudeZero

Aus diesem Grund stellt der Verein den Jugendlichen 14 betreute Wohnungen mit stilvoller, moderner Einrichtung zur Verfügung. Jimmy Weber führt weiter aus: «Die Jungen sind empfänglich für Design und schöne Räume. Es erscheint uns wichtig, dass sie sich darin wohlfühlen, aber auch Sorge dazu tragen. Wir gehen denn auch jede Woche vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.» Werde die Wohnung nicht ordentlich und sauber gehalten, «reinigen wir sie gemeinsam mit der darin wohnenden Person und zeigen ihr, wie das geht», sagt Weber. Eine eigene Wohnung ist ein wichtiger Lernprozess für das ganze Leben.

Raus aus der Komfortzone

Die Organisation von Camps im In- und Ausland gehört zu den tragenden Säulen des Vereins. Eine Auszeit bietet jungen Menschen eine einzigartige Gelegenheit, für einige Tage aus ihrem gewohnten Alltag auszubrechen. Jimmy Weber erklärt: «Zudem dienen uns diese Camps dazu, die jungen Menschen besser kennenzulernen und ihre Verhaltensweisen zu beobachten. Ob auf einer Reise ins Wallis oder nach Island, einer Wanderwoche im Hochgebirge oder einer Mountainbiketour mit Übernachtungen im Zelt, das pädagogische Team holt sie mehrmals im Jahr aus ihrer Komfortzone heraus.» Die Camps würden sorgfältig vorbereitet, um die Sicherheit aller Teilnehmenden zu gewährleisten, etwa durch Rekognoszieren der Routen sowie der langjährigen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Guides. Schmunzelnd fährt er fort: «Ein Auszeit-Camp ist aber alles andere als eine Vergnügungsreise. In der freien Natur, fernab von Freunden und sozialen Netzwerken, kommen die Emotionen schneller hoch.»

Mountainbiken bei strömendem Regen oder steile Bergpfade stellen die Jugendlichen auf eine harte Probe. Gleichzeitig schaffen solche Bedingungen aber auch Vertrauen, weil sich das pädagogische Team denselben Herausforderungen stellt. «Die Jungen brauchen Beweise», meint Jimmy Weber, der Camps im Ausland besonders liebt, da die Jugendlichen nicht so leicht in Versuchung geraten, nach Hause zurückzukehren. In der Schweiz können sie einfach in einen Bus oder Zug steigen, wenn sie keine Lust mehr haben. Berge sind bei AltitudeZero allgegenwärtig: Sie hängen als Fotos an der Wand, zieren das Logo und stehen bei den Camps im Mittelpunkt. «Wandern ist ideal, weil dabei ein Ziel erreicht wird und Emotionen ausgelöst werden», betont Jimmy Weber. So sind die Natur und die Berge auch fest in der DNA des Vereinsgründers verankert. Nach einer schwierigen Kindheit verbrachte Jimmy Weber viele Wochenenden in einer Berghütte, weit weg vom Trubel und den Versuchungen unten im Tal. Dort erfuhr er die wohltuende Wirkung der Natur.

Immer wieder neue Wege

Danach wollte Jimmy Weber jungen Menschen in Schwierigkeiten helfen und liess sich zum Erzieher ausbilden. Mehrere Jahre lang arbeitete er in Kinder- und Jugendeinrichtungen. Sein Traum: eines Tages eine Organisation mit Bezug zur Natur und zum Sport zu gründen. 2017 ging sein Traum in Erfüllung. Heute zählt der Verein sechs Mitarbeitende, von denen mehr als die Hälfte an der Front tätig sind. Die in einer eleganten Strasse in Lausanne gelegenen Räumlichkeiten zeichnen sich durch ein gepflegtes Erscheinungsbild aus und entsprechen gar nicht dem Bild, das man von sozialpädagogischen Massnahmen haben könnte. Jimmy Weber meint: «Wir haben das Glück, dass wir die Räumlichkeiten zu vorteilhaften Konditionen mieten können. Wie bereits gesagt, ist Ästhetik den Jungen wichtig. Deshalb haben wir auch die Einrichtung unserer betreuten Wohnungen und unserer Räumlichkeiten sorgfältig ausgewählt.» Über dem Holztisch hängt das Logo von AltitudeZero. Jimmy Weber erklärt: «Die drei abgebildeten Berge stehen für die drei Säulen des Vereins: ambulante Betreuung, betreute Wohnungen und Auszeit-Camps. Der Name AltitudeZero bedeutet: Wenn man auf dem Gipfel steht und nichts mehr sieht, muss man wieder hinabsteigen.»

Als leidenschaftlicher Fotograf hält Jimmy Weber alle Camps mit seiner Kamera fest. Die wunderschönen Fotos werden anlässlich des siebenjährigen Bestehens des Vereins im Jahr 2025 ausgestellt. Zur gebührenden Feier dieses Jubiläums plant das Team eine grosse Fotoausstellung, um Geld für den Verein zu sammeln. Sein Sitz befindet sich in Lausanne, er verfügt aber über weitere Räumlichkeiten im Wallis und in Yverdon und bald auch in Genf. Abschliessend sagt Jimmy Weber: «Wir versuchen stets, uns den Bedürfnissen der Jugendlichen anzupassen und auf ihre Motivationen einzugehen, damit sie sich wieder aufbauen können. Angesichts einer sich laufend verändernden Jugend müssen wir immer wieder neue Wege gehen. Das ist eine spannende und extrem herausfordernde Aufgabe.»

 




Foto: AltitudeZero